F. Rigendinger: Das Sarganserland im Spätmittelalter

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Titel
Das Sarganserland im Spätmittelalter. Lokale Herrschaften, die Grafschaft Sargans und die Grafen von Werdenberg-Sargans


Autor(en)
Rigendinger, Fritz
Erschienen
Zürich 2007: Chronos Verlag
Anzahl Seiten
484 S.
Preis
URL
Rezensiert für infoclio.ch und H-Soz-Kult von:
Rainer Hugener, Fachbereich Mittelalter, Historisches Seminar der Universität Zürich

Das Sarganserland gehört zu den historiographisch am stärksten vernachlässigten Regionen der Schweiz. Dies dürfte zum einen an seiner – aus heutiger Sicht – ausgesprochenen Randlage liegen, zum anderen daran, dass sich aus der Region um Sargans keine geschlossene territoriale bzw. politische Einheit entwickeln konnte. Mit dem Zugriff der Eidgenossen ab 1460 wurde der ehemals bedeutsame Herrschaftsschwerpunkt der Grafen von Werdenberg-Sargans zum gemeinsam verwalteten Untertanengebiet degradiert und 1803 in den neu geschaffenen Kanton St. Gallen integriert. Als «Verlierer der Geschichte» fand die ehemalige Grafschaft Sargans weder in der schweizerischen noch in der sankt-gallischen Geschichtsschreibung genügend Beachtung. Die Beschäftigung mit diesem «landesgeschichtlichen Niemandsland» (S. 27) erscheint daher als sehr wünschenswert.

Anders als es der Titel «Das Sarganserland im Spätmittelalter» vermuten liesse, bietet die Dissertation von Fritz Rigendinger allerdings keinen umfassenden regional- oder gar mikrogeschichtlichen Überblick über eine historische Region, wie er etwa von Bruno Meier und Dominik Sauerländer zum «Surbtal im Spätmittelalter» vorgelegt worden ist1. Rigendinger beschränkt sich auf Herrschaftsstruktur, Herrschaftswandel und die Herrschaftsträger als politische Akteure. Entsprechend verortet er seine Untersuchung «im Schnittfeld von Verfassungs- und Adelsgeschichte» (S. 15). Als Ziel nimmt sich der Autor vor, «die Bausteine des Herrschaftsgefüges freizulegen und eine Herrschaftstopographie zu skizzieren, auf deren Grundlage die territoriale Entwicklung nachvollziehbar wird» (S. 14). Die Klosterherrschaft Pfäfers klammert Rigendinger mit Verweis auf die verhältnismässig reichhaltige Literatur aus.

Entsprechend der spätmittelalterlichen Herrschaftssituation im Untersuchungsraum ist das Werk in zwei thematische Blöcke unterteilt: Ein erster Hauptteil widmet sich den lokalen Herrschaften Freudenberg, Nidberg, Flums, Tscherlach, Wartau und Walenstadt. Sehr detailliert zeichnet Rigendinger in diesem Kapitel anhand der verstreuten Quellen die Entstehung und Entwicklung dieser unterschiedlichen Kleinherrschaften nach. In einem zweiten und dritten Hauptteil widmet sich Rigendinger ausführlich der Grafschaft Sargans im 13. bis 15. Jahrhundert. Hier verfolgt der Autor zunächst die komplexen, teils nur hypothetisch erschliessbaren Erbschaftsvorgänge, welche einem Zweig der Grafen von Werdenberg ab der Wende zum 14. Jahrhundert zu seiner herausragenden landesherrlichen Stellung im Sarganserland verholfen haben. An Beispielen verschiedener werdenbergischer Exponenten erörtert er sodann Themen wie Militärunternehmertum, Gefolgschaftsbildung und Territorialpolitik. Breiten Raum nimmt die ereignisorientierte Schilderung zur Stellung der Grafschaft Sargans in den Appenzellerkiegen (1401–1429) und im Alten Zürichkrieg (1436–1446) sowie der daraus resultierenden Neuordnung der Herrschaftsverhältnisse in der Ostschweiz ein. Abschliessend wird ein Ausblick auf die Geschichte der Grafen von Werdenberg-Sargans nach 1446 unternommen. Im Anhang finden sich Stammtafeln und tabellarische Auflistungen der verschiedenen sarganserländischen Herrschaftsträger und Amtsinhaber sowie Regesten zu Herrschaftsrödeln und Gerichtsoffnungen der Grafschaft Sargans im 15. Jahrhundert.

Die Arbeit veranschaulicht die «heterogene Herrschaftstopographie auf relativ kleinem Raum» (S. 375), wie sie nicht nur für Sargans im Spätmittelalter charakteristisch war. Am Beispiel des Sarganserlandes kann Rigendinger aufzeigen, wie der viel diskutierte Prozess der Territorialisierung in dieser Region konkret vonstatten ging. Gerade das Beispiel Sargans vermag zu verdeutlichen, dass dieser Prozess nicht immer linear verlief und dass auch «Irrwege» und Entwicklungen, die letztlich nicht von Erfolg gekrönt waren, zu berücksichtigen sind, wenn man adlige Territorialpolitik im Spätmittelalter nicht einfach als Vorgeschichte moderner Staatlichkeit (miss-)verstehen will.

Vor diesem Hintergrund ist es bedauerlich, dass der Autor kaum Bezüge zu übergeordneten Problemen und Fragestellungen herstellt. Auf Verweise auf aktuelle Forschungsergebnisse und neuere Überblicksdarstellungen, etwa zum habsburgischen Landesausbau, zur spätmittelalterlichen Herrschaftspraxis oder zur Adelsforschung ganz allgemein, sowie auf Vergleiche mit anderen Regionen und Adelsgeschlechtern wird weitgehend verzichtet. Besonders gewinnbringend dürfte sich die Lektüre somit vor allem für Leserinnen und Leser erweisen, die mit der Situation des Adels in der spätmittelalterlichen Ostschweiz vertraut sind2. Für die weitere Beschäftigung mit dieser Region bildet das Werk – auch aufgrund seiner ausgesprochenen Quellennähe – eine zuverlässige Basis. Mit seiner fundierten verfassungsgeschichtlichen Untersuchung erweitert Rigendinger die Kenntnisse aus dem vor allem genealogisch ausgerichteten, mittlerweile veralteten Monumentalwerk zu den Werdenberger Grafen von Emil Krüger aus dem Jahr 1887 entscheidend3. Wie Rigendingers Arbeit zur Herrschaft Sargans zeigt, würde sich eine erneute Beschäftigung mit diesem bedeutenden, aber von der Forschung vernachlässigten Geschlecht unter verstärktem Einbezug von sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Perspektiven sehr lohnen.

1 Bruno Meier und Dominik Sauerländer, Das Surbtal im Spätmittelalter. Kulturlandschaft und Gesellschaft einer ländlichen Region 1250 bis 1550, Aarau 1995.
2 Dazu nach wie vor grundlegend: Roger Sablonier, Adel im Wandel. Eine Untersuchung zur sozialen Situation des ostschweizerischen Adels um 1300, Göttingen 1979 (Neuauflage: Zürich, Chronos, 2000).
3 Emil Krüger, «Die Grafen von Werdenberg-Heiligenberg und Werdenberg-Sargans», in: Mitteilungen zur Vaterländischen Geschichte 22 (1887), S. 109–398.

Zitierweise:
Rainer Hugener: Rezension zu: Fritz Rigendinger: Das Sarganserland im Spätmittelalter. Lokale Herrschaften, die Grafschaft Sargans und die Grafen von Werdenberg-Sargans. Zürich, Chronos, 2007. Zuerst erschienen in: Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 2, 2008, 200 S. 229-230.

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Zuerst veröffentlicht in

Schweizerische Zeitschrift für Geschichte, Vol. 58 Nr. 2, 2008, 200 S. 229-230.

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